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letztes Update:
23.05.2018

. / Aktuelles / Mit letzter Tinte (April 2012)
Stand: 03.04.2013

War gerade dabei, eine Analyse des Grass-Textes vorzunehmen, als mir als erstes auffiel, dass dieses  "Gedicht" ja wohl epische Ausmaße hat, und ich mich dadurch veranlasst fühlte, es ein wenig auf lyrisches Maß zu reduzieren. Vielleicht hätte Grass vieles an Anfeindungen aufgrund von Missverständnissen vermieden, wenn er sich - wie für lyrische Texte üblich - auf Weniges konzentriert hätte.
Zur Klarstellung: Dies ist inhaltlich nicht meine  Position, nur der Versuch in lyrischer Sprache nahezubringen, was Grass in meinen Augen wohl gemeint hat.

Meine Analyse des Originals folgt noch.



Mit letzter Tinte

Mit letzter Tinte, als überzeugter Pazifist,
nicht als belasteter Deutscher schreibe ich gealtert.
Warum erst jetzt, wo ich doch vorher schon
so viel Zeit dazu gehabt hätte.

Erst  kürzlich las ich Ungeheuerliches:
Ein mit Raketen gestütztes U-Boot
aus deutscher Fertigung als Morgengabe
für eine Region, die Anderes benötigt.

Wieder einmal droht uns Deutschen Schuld  ungeheuren Ausmaßes,
die auf uns zu laden wir im Begriffe sind, wenn wir denn
schwiegen, auch Freunden gegenüber, wo deren Regierung
nicht weniger aggressiv zu sein scheint als eine andere.

Wohl wissend um den Vorwurf als Antisemit,
der ich nun wahrlich nicht bin,
diskreditiert und missverstanden zu werden,
nenne ich den Namen Israel.

Seine Regierung – sehr wohl im Besitz
geheim gehaltener Atomwaffen – plant
einen  Erstschlag gegen einen Staat – noch nicht im Besitz
von Atomwaffen – dessen Regierung ebenfalls mit allem droht.

Meine Besorgnis ist eine tiefgreifende,
da ich um den Weltfrieden fürchte –
Einmal begonnen, weiß keiner, wo es endet, denn es kann nicht zweierlei
Moral geben: die des bösen Iran und Israels als dem Guten.

Und daher bin ich der Welt mein Schreiben schuldig –
auch und vielleicht gerade
als Deutscher.


Hubertus Wilczek





Ich stehe im Wort: Lange habe ich überlegt, ob es überhaupt angemessen ist,  sich hierzu zu äußern, da Grass in gewisser Weise eine Art Denkmal darstellt.
Andererseits ist die Sache als solche zu wichtig, um sie beliebig im Raum stehen zu lassen.

Wie auch immer: Grass  geht von falschen Voraussetzungen aus, was ich gerne erläutern möchte.
Der Vergleich zwischen Israel und Iran als quasi gleichwertigen Mächten ist irreführend. Zunächst ist Israel bereits eine Atommacht – nie offiziell so bekannt gegeben worden -, während der Iran genau danach erst strebt. Das ist ein gewaltiger Unterschied, weil die Proliferation (Nichtverbreitung von Atomwaffen) hier einen weltweit gesehen wichtigen Aspekt bildet.

Zur Frage der Notwendigkeit:

Der Iran ist nicht gefährdet, es gibt keinen ernsthaften Gegner, es gibt absolut keine Notwendigkeit atomare Energiealternativen zu entwickeln – auch zeitfern nicht -, da der einfache Tritt auf den Boden endlos Öl hervorruft. Aktuelle Techniken der Solarenergie dürften in dieser Region deutlich mehr Energie erzeugen als die eigens bemühte Notwendigkeit auf die angeblich unverzichtbaren Atomanlagen.

Kurzum: Der Bau von atomaren  Anlagen ist erkennbar militärischer Natur!

Zur Frage der Notwendigkeit:

Israel ist extrem gefährdet, es gibt zahllose Gegner in einer Region, die deutlich muslimisch geprägt ist. Israel hat keine Bodenschätze, auch kein Öl, aktuelle Techniken sind nur langsam umsetzbar, da die meisten Mittel in den Verteidigungshaushalt gesteckt werden müssen!

Kurzum: Es gibt keine Handlungsspielräume.

Ausgangslage:

Der Iran ist schiitisch geprägt, seine überwiegend sunnitischen Nachbarn bilden in diesem Bereich klar ablehnende, aber keine existenziell bedrohlichen Potentiale. Es ist ein Land mit relativ großer Bevölkerung, mit recht guter Bildung – eher auf Männer bezogen – und relativ viel Territorium. Es hat eine extrem zentralistische Führung (religiös und politisch) und eine lange Tradition sowie Geschichte (Perser), verfügt über wichtige Bodenschätze und liegt geostrategisch sehr günstig, um die Durchfahrt zum Indischen Ozean für Öltanker zu sperren.

Israel ist jüdisch geprägt, seine Nachbarn sind erkennbar muslimisch ausgerichtet, insbesondere die Palästinenser bilden durchaus eine reale Gefahr, da sie einen Anspruch auf verlorenes Gebiet erheben und diesen keineswegs aufgegeben haben und auch nicht werden. Es ist ein Land  mit kleiner Bevölkerung (es leben mehr Juden in den USA als in Israel), mit absoluter Spitzenbildung beiderlei Geschlechts, und einem winzigen Territorium, das an seiner schmalsten Stelle einen Spaziergang Wert ist. Es verfügt über nur geringe Bodenschätze und liegt geostrategisch akzeptabel, aber nicht unverzichtbar. Israel kann bestenfalls den Jordan sperren, was aber keine weltpolitische Empörung auslösen würde.

Dass Israel ein hochgerüsteter Staat ist – im Verhältnis zur eigenen Größe und Bevölkerungszahl wohl am besten mit dem ehemaligen Preußen zu vergleichen – dürfte kein Geheimnis sein. Dass dies nur mit massiver Unterstützung der USA möglich ist und wie man allmählich erfährt auch Deutschlands, auch nicht. Alle Teilstreitkräfte sind mit modernsten amerikanischen Waffen ausgerüstet, Israel besitzt ferner eine eigene Rüstungsindustrie, die z. B. eigene Panzer baut, aber letztlich läuft alles am Limit.

Die sehr aggressive Sprache des Herrn Ahmadinedschad ist aus aller Sicht und insbesondere Israels zu bedrohlich in ihrer letztlichen Konsequenz.
Die Geschichte hat die Juden gelehrt, solche Drohungen einzelner Herrscher nicht zu bagatellisieren.
Dass aus Sicht israelischer Militärs diese Töne und das tatsächliche Potential  des Iran als existentiell bedrohlich empfunden werden müssen, sollte niemanden verwundern.

1. Die feindliche Haltung beider Staaten kann als gegeben vermerkt werden. Der kalte Krieg zwischen beiden Staaten läuft schon längst.
2. Aus der Sicht des Iran ist der Aufbau Israels als Feindbild zwingend notwendig, um islamische Gegensätze (Schiiten vs. Sunniten) zu verringern, umgekehrt ist die Annahme, dass es nur dabei bliebe, zu gewagt.
3. Kompromisse und Alternativen in der Sache sind nicht erkennbar.
4. Eine direkte konventionelle Auseinandersetzung ist aufgrund der Entfernung nicht unmittelbar möglich, sonstige militärische Maßnahmen seitens des Iran sind aufgrund der atomaren Möglichkeiten Israels kaum angeraten.
5. Jede militärische Veränderung des Status quo muss also aus Sicht der israelischen Militärs um jeden Preis verhindert werden.


Aus der Sicht Israels muss der Aufbau atomarer Möglichkeiten seitens des Iran existenzbedrohend sein! Sie können in dieser Region keine  zweite atomare Macht akzeptieren, da ihr bisheriges Machtmonopol, ihre „ultima ratio“, ein Garant militärischer Unangreifbarkeit in der Region war und noch ist. Israel hat absolut kein strategisches  Hinterland, sodass keine Rückzugsmöglichkeiten gegeben sind. Die Vorwarnzeiten bei Mittelstreckenraketen sind zu kurz, um nach technischen Lösungen (Raketenabwehr-Schild) für die dann gegebene Bedrohungslage  zu suchen.
Die vorhandenen U-Boote der Israelis bilden gleichsam eine Art von geostrategischem Hinterland des israelischen Staates, die eine Art von Zweitschlagskapazität sicherstellt, ohne jedoch einen Erstschlag in letzter Konsequenz verhindern zu können. Das atomare Gleichgewicht des Schreckens zwischen West  und Ost funktionierte auch nur, weil rationale Spieler beteiligt waren. Sich dann aber nur noch rächen zu können, ist für Israel keine hinreichende Restoption.  
Daher können sie aus ihrer momentanen militärischen Überlegenheit derartige Verschiebungen zu ihren Ungunsten absolut nicht akzeptieren. Alle anderen Optionen sind zu riskant. Folglich werden die Israelis - egal wie die Weltmeinung sich darstellt – alles daran setzen, den gegebenen Status quo zu wahren.

So bleibt schlussendlich nur die Möglichkeit, präemptiv vorzugehen, was nicht mit präventiv verwechselt werden darf. Präventiv ist ein Vorgehen, wenn der Angriff des potentiellen Angreifers unmittelbar bevorsteht. Da iranische Panzer aber nicht in Syrien – unmittelbar an der israelischen Grenze - stehen, kann man nicht von einer solchen Maßnahme sprechen. Hier geht es um die Verhinderung  einer generellen Angriffsmöglichkeit, also die Beseitigung einer potentiellen atomaren Bedrohung. In diesem Kontext gibt es zwei Zeitfenster: der Punkt, an dem spaltbares Material in bedrohlichen Mengen hergestellt werden kann, und der Punkt, an dem dies militärisch aus Sicht der Israelis nicht mehr verhindert werden kann. Der letztere ist z. Z. der problematischere: Die in den USA eingekauften Spezialbomben für tiefe Regionen haben ihre Grenzen, was auch die Iraner wissen, sodass die Zeit wegläuft, da die atomaren Anlagen in immer tiefere Regionen verlegt werden.
Kurzum: Aus militärischer Sicht bleibt den Israelis keine Alternative. Sie haben gewissermaßen alle Friedensinitiativen – von wem auch immer – geduldig abgewartet. Der Zeitpunkt zum Handeln liegt wohl recht nahe.

Grass irrt, wenn er glaubt, hier käme es zum atomaren Angriff. Die Israelis wollen nur mit den geringsten konventionellen Mitteln iranische Atomanlagen nachhaltig zerstören. Das ist fraglos nicht moralisch, aber aus ihrer Sicht unvermeidbar. Ein weitergehender Krieg ist sicher keineswegs geplant, und um dies zu Verhindern sind die US-Streitkräfte vor Ort sicher angehalten, alle weiteren offensiven Potentiale der iranischen Luft- und Seestreitkräfte zu vernichten.
Punkt.
Die Öltanker müssen weiter transportieren, und zwar ohne Bedrohung durch iranische Streitkräfte.
Soweit der naheliegende Plan: Die reale Umsetzung ist ein Zweites, aber das wird die Zukunft zeigen.

Grass betreibt eine Art Radikalpazifismus, dem der Anspruch innewohnt, gleichsam eine Art von moralischer Deutungshoheit zu besitzen. So macht man sich quasi unangreifbar in dieser Frage und hat stets alle friedliebenden Zeitgenossen hinter sich.
Eine solche Art von Friedfertigkeit (Appeasement-Politik) hat es zum Beispiel Hitler erst ermöglicht, in Ruhe seinen Krieg vorzubereiten. Ich persönlich halte gar nichts von Pazifismus um jeden Preis. Ich konzediere Grass allerdings, dass er zur Kriegsgeneration gehört und wohl nicht anders denken kann.
Was mir andererseits Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Israel mit unserer Hilfe (kaum ortbare U-Boote mit Trägersystemen) generell strategische Optionen weltweit gewonnen hat und diese prinzipiell eben gegen jeden verwenden kann: auch gegen uns. Wenn ich mich recht erinnere, dann gilt im Alten Testament die Rache bis ins 12te Glied.

In der Kritik an der Weitergabe ultimativer Mittel stimme ich Grass zu, ohne dass er es so gemeint hat.

Hubertus Wilczek