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23.05.2018

. / .Deutsch / Rhetorik / Redeanalysen / Demagogie der RAF
Stand: 13.04.2008

Im Zusammenhang der aktuellen Diskussion um die RAF habe ich ein
sog. Bekennerschreiben der damaligen RAF aus dem Jahre 1977 bezüglich
der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback ausgekramt.
In den achtziger Jahren benutzte ich diesen Text als aktuelles
Paradebeispiel linker Demagogie.
Es war mir zu langweilig geworden, immer nur Goebbels zu analysieren.


Erschienen in der FAZ vom 14.4.1977 (gekürzte Fassung)

    TEXT

   „Für ’Akteure des Systems selbst’ wie Buback findet die        
    Geschichte immer einen Weg.

Am 7.4.77 hat das Kommando Ulrike Meinhof Generalbundes-
anwalt Siegfried Buback hingerichtet.
Buback war direkt verantwortlich für die Ermordung von —
Holger Meins,- Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof. Er hat  
in seiner Funktion als Generalbundesanwalt -...- ihre  
Ermordung inszeniert und geleitet.
Unter Bubacks Regie wurde Holger am 9.11.74 durch syste-
matische Unterernährung... gezielt ermordet. Das Kalkül der
Bundesanwaltschaft war, durch die Exekution eines Ka-
ders* den kollektiven Hungerstreik der Gefangenen gegen die
Vernichtungshaft zu brechen, nachdem der Versuch,
Andreas durch die Einstellung der Zwangsernährung umzu-
bringen, durch die Mobilisierung der Öffentlichkeit gescheitert war.
Unter Bubacks Regie wurde Siegfried, der das Kommando
Holger Meins geleitet hat und der die Sprengung der deutschen
Botschaft in Stockholm durch westdeutsche MEK-Einheiten*
hätte nachweisen können, am 4.5.75 ermordet. Während er
unter der ausschließlichen Verfügungsgewalt der
Bundesanwaltschaft und des BKA* stand, wurde seine
Auslieferung in die BRD und der lebensgefährliche Transport
in das Gefängnis von Stuttgart-Stammheim durchgeführt,
was seinen sicheren Tod bedeutete.
Unter Bubacks Regie wurde Ulrike am 9.5.76 in einer Aktion
des Staatsschutzes exekutiert. Ihr Tod wurde als Selbstmord
inszeniert, um die Sinnlosigkeit der Politik, für die Ulrike
gekämpft hat, zu demonstrieren.
...Der Zeitpunkt ihrer Ermordung war präzise kalkuliert:...
Vor Ulrikes Zeugenvernehmung im Prozeß in Düsseldorf gegen
das Kommando Holger Meins, wo sie authentisch über die
äußerste Form der Folter, die an ihr in 8 Monaten toten Trakts*
vollstreckt worden war, hätte aussagen können: ...
Ulrikes Geschichte ist deutlicher als die vieler Kämpfer die
Geschichte der Kontinuität, von Widerstand - sie verkörpert
für die revolutionäre Bewegung eine ideologische
Avantgardefunktion, auf die Bubacks Konstruktion des fin-
gierten Selbstmords zielte: Ihr Tod - von der Bundesanwaltschaft
als 'Einsicht in das Scheitern’ bewaffneter Politik propagandistisch
verwertet - sollte die Gruppe, ihren Kampf und die Spur ihrer
Wirkung moralisch vernichten. Die Konzeption der
Bundesanwaltschaft,..., läuft nach der Linie der im Security
Committee* der Nato konzipierten Antisubversionsstrategie*:
Kriminalisierung revolutionären Widerstands - deren taktische
Schritte Infiltration*, Entsolidarisierung und Isolierung der Guerilla
und Eliminierung ihrer Leader sind. ...
Buback - wie Schmidt sagt 'ein tatkräftiger Kämpfer' für
diesen Staat - hat die Auseinandersetzung mit uns als Krieg
begriffen und geführt:'Ich habe den Krieg überstanden.
Das ist ein Krieg mit anderen Mitteln.
'Was revolutionärer Krieg ist - und das werden Bullen wie
Buback nie begreifen - ist die Kontinuität, die Solidarität,
die Liebe, die die Aktion der Guerilla ist.
Wir werden verhindern, daß unsere Fighter in westdeutschen
Gefängnissen ermordet werden, ....
Wir werden verhindern,daß Bundesanwaltschaft und Staats-
schutzorgane sich an den gefangenen Fightern rächen für
die Aktionen der Guerilla draußen.
Wir werden verhindern, dass die Bundesanwaltschaft den
vierten kollektiven Hungerstreik der Gefangenen um die
minimalen Menschenrechte benutzt, um Andreas, Gudrun und
Jan zu ermorden, wie es die psychologische Kriegsführung seit    
Ulrikes Tod propagiert.
    
     Kommando Ulrike Meinhof
     Rote Armee Fraktion
    
     Den bewaffneten Widerstand und die antiimperialistische
     Front in Westeuropa organisieren
     Den Krieg in den Metropolen im Rahmen des internationalen Befreiungskampfes führen."




Erläuterung zu einzelnen Begriffen:

* Kader: Systematisch herangebildete Gruppe von Nachwuchs-
kräften in Partei und Staat
* MEK:  Mobile Einsatzkommandos der Polizei
* BKA:  Bundeskriminalamt
* toter Trakt: Unterbringung in Einzelhaft
* Security Committee: Sicherheitsausschuß
* Antisubversionsstrategie« Vorgehensweise gegen terroris-
tische Kräfte
* Infiltration: Eindringen fremden Gedankengutes in eine
Gemeinschaft, ideologische Unterwanderung


SACHANALYSE

Der vorliegende Text ist am 14.4.1977 in der FAZ erschienen. Eine Gruppe der RAF, das „Kommando Ulrike Meinhof“ erklärt sich verantwortlich für den Tod des Generalbundesanwalts  Siegfried Buback. Dieser soll als verantwortlich Leitender für die „Ermordung“ dreier RAF-Mitglieder zuständig gewesen sein. Aus einer Fülle nicht nachweisbarer Behauptungen, einer textimmanenten Logik folgend, ergibt sich die vordergründige Rechtfertigung zur „Hinrichtung“ des Generalbundesanwalts. Diese wird in Form einer nachträglichen „Urteilsverkündung“ abgegeben, um der Tat den Anschein einer wie auch immer gearteten Legalität zu verleihen. Der Brief beginnt mit einer sehr allgemein gehaltenen, orakelhaft anmutenden Aussage. Ihr ist zu entnehmen, dass der eigentlich Verantwortliche für Siegfried Bubacks Tod der determinierte Lauf der Geschichte sei, so dass dem „Kommando“ nur noch die Rolle des ausführenden Organs zukomme. Dieser Aussage ist offenbar eine gewissensentlastende Funktion zuzuschreiben.
Nach einer knapp gehaltenen Tatfeststellung kommt es zu einer ausführlichen Anklagerede gegen den Getöteten. Einer pauschalen Beschuldigung folgt eine nähere Spezifizierung.
Es wird in rhetorisch wirkungsvoller Weise - dreifache Anapher „Unter Bubacks Regie wurde...“ sowie einer Klimax (Steigerung in der Personenanordnung vom normalen Mitglied Holger Meins über den Leiter eines Kommandos Siegfried Hausner bis zu Ulrike, der eine ideologische Avantgardefunktion beigemessen wird) - der Versuch unternommen, eine Argumenten-Kette aufzubauen. Innerhalb dieser ist der Höhepunkt, und zugleich eine der zentralen Stellen im Gesamttext, die Darlegung der Stellung Ulrike Meinhofs. „Ulrikes Geschichte ist deutlicher als die vieler Kämpfer die Geschichte von Widerstand - sie verkörpert für die revolutionäre Bewegung eine ideologische Avantgardefunktion,...“
Im folgenden Exkurs kommt es zur Darstellung einer sogenannten „Antisubversionsstrategie“ - erneute Klimax: von Infiltration bis zur Eliminierung -, die durch ihr bloßes Vorhandensein einerseits und durch ihr Entstehen in höchsten militärischen Stäben andererseits, den indirekten Beweis erbringen soll, dass terroristische Aktionen auch vom „System“ als Kriegsführung inoffiziell anerkannt werden. Zusätzlich wird versucht, diese Auffassung durch Zitate der gegnerischen Seite zu belegen (Zeile 50-55). Hier wird auf fremde Autoritäten zurückgegriffen, was einerseits rhetorisch wirkungsvoll ist, zugleich aber auch auf Unsicherheiten in der Annahme dieser These im terroristischen Umfeld hindeutet.
Den Abschluss der Kriegsführungstheorie bildet die Definition des revolutionären Krieges, die sich rhetorisch als Emphase äußert. „Revolutionärer Krieg ist die Kontinuität, die Solidarität, die Liebe...“
Im Schlussteil zeigt sich eine Wiederaufnahme der anaphorischen Anordnung bei der Formulierung des Gelöbnisses; „Wir werden verhindern, daß...“
Eine weitere rhetorische Satzfigur zeigt sich im Parallelismus der beiden Schlussappelle, die im plakativen Infinitiv gehalten sind.
Zu den inhaltlich interessanten Punkten zählt die, auch textlich, zentrale Position Ulrike Meinhofs. Sollte es dem „System“ gelingen, diese Schlüsselfigur der RAF als gescheiterte Existenz hinzustellen, wäre der „Nerv“ der gesamten Gruppe getroffen worden. Dieser neuralgische Punkt allein sei offensichtlich Veranlassung genug gewesen, Ulrike Meinhof umzubringen. Der Logik folgend, dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“ bedurfte es keiner Hinterfragung der Möglichkeit eines Selbstmordes, sondern die Zielsetzung des Gegners kam der Tat gleich.
Nahezu noch interessanter ist die Definition des revolutionären Krieges. Eine syntaktische Verkürzung dieser Textstelle ergäbe die Aussage: „Revolutionärer Krieg ist ... die Liebe...“.  Die sich ergebende Gleichsetzung von „Krieg“ in synonymer Verwendung zu „Liebe“ ist Ausdruck für völlig von der Norm abweichende Denkstrukturen. Die Gruppe ist sich dieser Andersartigkeit offenbar durchaus bewusst: „und das werden Bullen wie Buback nie begreifen.“
Diese Textstelle gehört in einen Sequenzzusammenhang, in dem es um die für die RAF entscheidende Feststellung geht, dass ihre politische Auseinandersetzung eine Kriegssituation darstellt. Dies zeigt sich auch in der Wortwahl der Terroristen, als „Kämpfer“, „Fighter“, „Guerilla“. etc. angesehen und demzufolge als Soldaten behandelt werden zu wollen. Das heißt, in ihrem Selbstverständnis sehen sie sich nicht als Kriminelle, sondern als Kämpfer einer gerechten Sache, die sich in einer Kriegssituation gegenüber dem „System“- hier verstanden als synonymer Begriff für Kapitalismus und Imperialismus - befinden. Der Krieg, der hier geführt wird, ist nicht zuletzt ein Krieg um Rechtspositionen. Vor allem in der Usurpation des der juristischen Terminologie entnommenen Begriffs „Hinrichtung“ wird dies deutlich. Hinrichtung wird allgemeinhin verstanden als Vollstreckung eines Rechtsaktes basierend auf Konventionen, die sich ergeben aus der Kontinuität einer rechtsstaatlichen Tradition.
Das „System“, das hier im Text angegriffen wird, ist ein verabscheuungswürdlger Gegner, dessen Schergen, an ihrer Spitze Buback selbst, zu austauschbaren Figuren werden, denen eine wie auch immer geartete Menschenwürde abgesprochen wird:
„Bullen wie Buback".
Ihnen werden alle negativ behafteten Symbole zugesprochen, was sich sprachlich in Formulierungen wie „Unter Bubacks Regie wurde... ermordet...exekutiert.“, „Folter“, „moralisch, vernichten“, „Selbstmord inszeniert“ u. a. äußert. Hierbei wird die Autorität des erklärten Gegners systematisch angegriffen und ein klares Feindbild aufgebaut. In altbewährter propagandistischer Art wird hingegen das Bild der „Wir – Gruppe“ glorifiziert. Bereits die vertrauliche Nennung der Mitglieder beim Vornamen unterstreicht die Solidarität und ermöglicht die Insiderperspektive für „Kenner der Szene“. Das „Wir –Gefühl“ wird noch verstärkt im Gelöbnis (Zeile 57 - 66), wobei die scheinbare Unterschiedslosigkeit der Gruppenmitglieder im Widerspruch steht zu der Bangfolge, die zuvor aufgebaut worden ist(Z. 6).
Auffallendstes Merkmal innerhalb der Wortwahl ist die Häufung ungebräuchlicher Fremdwörter (Infiltration, Kalkül, Mobilisierung, Eliminierung u.a.) bis hin zur Schaffung von Neologismen (z.B. Antisubversionsstrategie). Dies deutet darauf hin, dass der vordergründige Legitimationsversuch der Ermordung Siegfried Bubacks nicht an breite Bevölkerungsschichten gerichtet sein kann. Folglich ist die Adressatengruppe höchstens auf einen engen Kreis von Sympathisanten zu beschränken. Es handelt sich hier um einen ausgeprägten Soziolekt einer elitären Gruppe, die sich als solche auch bewusst darstellt. Soziolekte besitzen u.a. stets eine gruppenstabilisierende Funktion und dienen zugleich der Abgrenzung nach außen. In der hier vorzufindenden massiven Form ist durch die Vermeidung allgemein verständlicher Aussagen nicht im mindesten der Versuch unternommen, sich der Außenwelt gegenüber zu artikulieren. Aufgrund dessen ließe sich die Hypothese formulieren, dass die Funktion dieses Briefes primär nach innen gerichtet ist und erst sekundär nach außen, da eine sich als elitär verstehende Gruppe dies nicht nötig hat.
Ein weiteres sprachliches Merkmal ist die betonte Verwendung eines Nominalstils (z. B. Zeile 46 - 49 „Kriminalisierung revolutionären Widerstands - ... Infiltration, Entsolidarisierung und Isolierung ...). Dies verleiht dem Ganzen einen „offiziellen Charakter“ und zeigt zugleich die Anlehnung an juristische Stilzüge, wie der gesamte Brief ja formal sehr stark die Nähe zu einer Anklageschrift, bzw. Urteilsbegründung sucht.
Letztendlich muss die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Propagandaschrift und folglich ihrer politischen Wirksamkeit gestellt werden. Dies ist Frage des Wertesystems und der Denkkategorien des jeweiligen Rezipienten. Derjenige, der diese Terminologie kennt und für den sie assoziativ positiv behaftet ist, wird sich leicht einer solchen immanent vorhandenen Logik, die auf unausgesprochenen Prämissen basiert, hingeben. Dem anderen wird vieles unverständlich bleiben; er wird sich jedoch letztlich nicht ganz dem emotionalen Sog entziehen, den diese selbstsicher und pathetisch formulierte „Rechtfertigung“ in sich birgt.

Verfasser H. Wilczek