. / .Deutsch / Drama / episches / Interpretationsansätze zu „Biedermann und die Brandstifter” Stand: 18.04.2008 ↵
Biedermann und die Brandstifter (Max Frisch)
Merkmale Biedermanns:
• ist ein erfolgreicher Haarwasserfabrikant
• ist mit Babette verheiratet und wohlhabend (Villa, Dienstmädchen Anna)
• ist naiv, will öffentlich nichts bemerken
• verdrängt Wahrheiten mit dümmlichem Humor
• ist scheinbar gutmütig (aus Angst)
• ist unbarmherzig und hart gegenüber Untergebenen (vgl. Knechtling und Anna), beutet sie aus
• ist furchtsam gegenüber den Mächtigen, er biedert sich an („sprechender Name“)
• „Stammtisch-Parolen-Klopper“
• ist vordergründig ein Hardliner, in Wirklichkeit aber ein Feigling
• versucht sein „schlechtes Gewissen“ (Suizid Knechtlings) durch „Menschlichkeit“ wieder zu beruhigen
• => Fazit: Vordergründig ist Biedermann ein geachteter Geschäftsmann mit sittenstrengen Prinzipien,
in Wirklichkeit ist er jedoch ein spießbürgerlicher Opportunist.
Zur Aussageabsicht des Stückes:
Der Autor geht von der Überlegung aus, dass die Bereitschaft des Publikums, sich über die Verhöhnung
anderer Leute zu amüsieren, stets gegeben sei, ohne diese Verhaltensweisen auf sich selbst zu beziehen;
daher musste die Aussageabsicht (Intention) deutlich herausgestellt werden (vgl. JEDERMANN ist BIEDERMANN)
=> Biedermann steht stellvertretend für uns alle!
Der Charakter Biedermanns im Stück ist vorgegeben, er entwickelt sich nicht, sondern kommt erst im Verlauf
der Handlung zum Vorschein (die Handlung entlarvt seinen Selbstbetrug).
Biedermann ist nur scheinbar das Opfer der Brandstifter; er ist in seiner Skrupellosigkeit und zugleich
charakterlichen Schwäche eben auch Täter (!) und letztendlich für die Katastrophe maßgeblich mitverantwortlich.
Die Brandstifer sind zwar durchtrieben schlaue Verführer, aber erst die mangelhafte Verantwortung und der inkonsequente
Widerstand Biedermanns macht ihnen die Brandstiftung bis zur letzten Konsequenz möglich (vgl. Streichholz).
Die Brandkatastrophe ist ein Gleichnis (Parabel!) auf Krieg, Katastrophe und im religiösen Sinne als das
„Weltgericht“ zu verstehen.
Damit appelliert Max Frisch an die Verantwortung jedes einzelnen von uns. Er lehnt spießbürgerliche Wohlgefälligkeit,
Selbstbetrug, Anbiederungsverhalten und Opportunismus entschieden ab.
Ein möglicher historischer Bezug wäre der Nationalsozialismus; die Verführung durch die Nazis und die
Katastrophe des zweiten Weltkriegs sind nicht nur Schuld der Verführer, sondern maßgeblich auch
die der Verführten. Moralisch gesehen stehen beide gar nicht so weit voneinander entfernt.
Welche Lehren kann man aus Biedermanns Verhalten ziehen?
Gehe mit offenen Augen durch die Welt, schau nicht weg, betrüge dich nicht selbst, stehe für dich und andere ein,
erkenne und stelle dich der Wahrheit, usw.
Dramentheoretische Anmerkungen:
Neben Elementen der griechischen Tragödie (vgl. Prolog, Epilog und Chor) sind auch Elemente des epischen Theater
Brechts zu finden. Der Chor trägt hier parodistische Züge und wirkt eher komisch: „es stinkt nach Benzin“;
zugleich ist er ähnlich ohnmächtig dem Gang der Handlung gegenüber wie der antike Chor. Es kommt zu einem Bruch
mit der klassischen Funktion des Chores (Chor stellt sich Biedermann in den Weg, spricht mit ihm, warnt ihn
=> wird somit Teil der Handlung und verlässt die Reflexionsebene => erreicht dennoch nichts und bleibt ohnmächtig!).
Gewisse Verfremdungseffekte (komische Brechungen wie saloppe Formulierungen
„Quatsch“, Dr. phil., der Distanz zum Bühnengeschehen schafft und sich in den Zuschauerraum setzt
[Zuschauer werden Teil der Handlung] oder das Spiel im Spiel „Biedermann ist Jedermann“) lassen den Zuschauer nicht
im Unklaren darüber, dass hier Theater gespielt wird. Über die tatsächliche Wirkung seines Stückes macht sich Max Frisch
offenbar wenig Illusionen.
„Ein Lehrstück ohne Lehre“
als Untertitel hat resignierenden, aber auch provozierenden Charakter.