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. / Aktuelles / Interpretation: „Lob des Lernens“
Stand: 13.10.2011

Interpretation: „Lob des Lernens“

In dem lyrischen Text „Lob des Lernens“, aus dem elften Band der großen Anthologie „Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe.“, die im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main im Jahre 1988 – 1993 publiziert wurde, fordert Bertolt Brecht die Gesellschaft auf, ihr Wissen in einem fortwährenden Erkenntnisprozess zu erweitern und sich nicht länger aufgrund mangelnder Bildung von Autoritäten instrumentalisieren zu lassen.
Schon beim ersten Lesen fällt der stark empathisch-appellative Charakter dieses lyrischen Textes auf.
Um der Intention Eindringlich- und Anschaulichkeit zu verleihen, bedient sich Brecht zahlreicher stilistischer Mittel: Zum einen ist eine anaphorische Verwendung von Imperativen, speziell der Verben „lernen“ und „müssen“, sowie eine Klimax: „das Einfachste“ (Z.1) und „alles“ (Z.6) anzumerken.
Des Weiteren wird das Buch zum Symbol einer Waffe (Z. 15) und somit das Wissen mit Macht assoziiert. Diese subtile Gewaltaufforderung und die konsequente Befehlsform bewirkt eine militärische Atmosphäre. Die kurzen, meist von Ausrufezeichen beendenden Zeilen intensivieren diese Wirkung.
Ein Enjambement (Z. 1-3) hebt die Antithese hervor, in der Brecht darauf hinweist, dass der Bildungsprozess endlos das Leben begleitet und es nie zu spät für dessen Anfang sei.
Das lyrische Ich wendet sich unmittelbar mit dem Personalpronomen „Du“  und der Titulierung „Genosse“ (Z. 17) an den Leser und euphemisiert z. B. den Gefangenen mit der Umschreibung „Mann im Gefängnis“ (Z. 9). Dadurch bewahrt er dem Angesprochenen seine Würde und schafft gleichzeitig ein Gemeinschaftsgefühl (es gibt nur Mann und Frau unabhängig des Standes).
Mit prägnanter, simpler Syntax und Komprimierung an Informationen gewährleistet er eine eindeutige Verständlichkeit und damit auch den Bezug zu einem Publikum divergenter, auch weniger gebildeten Sozialschichten.
Formal wird eine Abspaltung vom traditionellen Gedicht deutlich, da drei Strophen unregelmäßiger Zeilenanzahl (Strophe 1: 7; Strophe 2: 9; Strophe 3: 10) vorliegen.
Auch die konsequente Aussparung eines Metrums, das Fehlen eines Reimschemas und von Kadenzen, nimmt dem Text traditionelle lyrische Elemente und unterstützt damit den Charakter einer Proklamation oder Rede.
Nach einer eingehenden Analyse des lyrischen Textes bestätigt sich meine Interpretationshypothese. Bertolt Brecht fordert den Rezipienten zur Eigenverantwortung und Eigendynamik auf, um durch Weiterbildung aus der täglichen Misere der Machtlosigkeit in der damaligen Zeit auszubrechen. Das Proletariat solle nicht länger in gegebenen Verhältnissen verharren und sich von institutionellen Autoritäten manipulieren lassen: „Lass dir nichts einreden!“ (Z. 18).
Brechts Intention ist schon durch die klar definierte Überschrift unmissverständlich für den Leser formuliert und fokussiert ausschließlich die Thematik der Bildung. Der universelle Charakter des lyrischen Textes sowie die Generalisierung von Tatsachen (es wird nicht konkret Bezug auf damalige historische Aspekte genommen) macht „Lob des Lernens“ zu einem zeitlosen Werk, das auch noch heute thematisch adäquat ist und für den Leser als Ansporn gesehen werden kann, die „geistige Führung“ zu übernehmen.

Verfasserin: Nicola Przybylka