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. / Aktuelles / Über das Verlieren und Zurückgewinnen von Vertrauen
Stand: 12.06.2012

Über das Verlieren und Zurückgewinnen von Vertrauen (25.1.12)

Es ist doch ganz einfach: Verlorenes Vertrauen muss nur wieder zurückgewonnen werden und das war‘s. Zumindest in der Sprache der politischen Klasse.
In der Presse dieser Woche war häufiger zu lesen, dass z. B. unser Bundespräsident Vertrauen verloren habe. Man fragt sich unwillkürlich, etwa in Las Vegas am Roulette-Tisch?
Oder in aller Hast  im Lauf des Lebens? Muss er jetzt nur etwas mehr Glück haben im Lebensspiel, um aus dem Schneider zu sein?
Ist nur eine metaphorische und sentenzenreiche Sprache unaufrichtig und verschleiernd oder sind es diejenigen, die sie benutzen?
Ein derartiger Sprachgebrauch behandelt „Vertrauen“ wie eine Ware, die man besitzt und folglich verkaufen oder eben auch verlieren kann.
Schnell kann man so vergessen,  dass es doch eigentlich ein ideelles Geschenk ist, was einem andere Menschen entgegen bringen oder eben nicht mehr und dann ist es ein Verlust, den man weder durch Kauf noch Glück wieder ersetzen kann.
Nur semantische Haarspalterei?
Es geht offenbar um Werte, die sich ein wenig sträuben, in die uns ständig aufgedrängten materiellen Wertekategorien eingeordnet zu werden, genauer um die Frage nach der Moral in der Politik. Der alte Gegensatz von Macht und Moral: fast schon ein zu alter Hut, um noch erwähnt zu werden.

Das Problem beginnt mit den Moralisten, die mit unschuldigen Augen und spitzer Feder genüsslich und mittlerweile auch ausdauernd nach Wunden suchen, um ihre Finger hineinzulegen. Natürlich alles im Namen der Wahrheit und Pressefreiheit. Etwas irritierend ist es allerdings schon, wenn ausgerechnet die „Bildzeitung“ als Avantgarde dieser moralischen Speerspitze auftritt. Weniger irritierend ist dann bereits die politische Opposition, die es hier ja eigentlich nicht geben dürfte, da der Bundespräsident bekanntlich (!) parteilos (geworden) ist. Ein wenig fühlt man sich an die Pharisäer erinnert, die hochmütig auf die gewöhnlichen Sünder blicken. Als ob die gesamte politische Klasse nur aus wohlanständigen Menschen bestünde und nur zufällig ein schwarzes Schaf entdeckt worden wäre, was man dann personalisiert, sprich eingrenzt, und folglich als Problem scheinbar kontrolliert. Was käme wohl heraus, wenn die Presse mit der gleichen Akribie alle Abgeordneten, Amtsträger und Redakteure in Deutschland überprüfen würde?
Hoffentlich einige Redliche!!!


Das Problem wird fortgesetzt mit der Feststellung, dass hier andererseits von der Sache her scheinbar berechtigt recherchiert worden ist, wobei das Spektrum weit gefächert zu sein scheint zwischen Unterstellung, Vorverurteilung, Spekulation, unbewusstem Analogieschluss  eigener „Schlechtigkeit“ und pauschalisierendem Generalverdacht. Es wirkt z. B. etwas anrüchig, wenn ausgerechnet ein Jurist auf Anfragen eines Parlaments bezüglich dieses mittlerweile berühmten Kredits eine rein formal korrekte Antwort auf den Vertragspartner gibt. Es ist Spekulation, wenn einzelne annehmen, die Höhe der Summe bei diesem recht durchschnittlich wirkenden Einfamilienhaus deute auf Finanzierungsbedarf  bei der Auflösung der 1. Ehe hin. Ein vielleicht Analogieschluss der eigenen Handlungen, wenn aus „freundschaftlichen Gefälligkeiten“ im Urlaub gleich eine Vorteilsnahme gemutmaßt wird.
Das ließe sich jetzt lange fortsetzen dank der Recherchekünste unserer Presse und/oder gezielter Indiskretionen. Solange keine Staatsanwaltschaft konkret eine Klage erhebt und ein ordentliches deutsches Gericht ein Urteil gesprochen hat, verbleibt alles im Bereich des Nebulösen.
Das macht es aber auch nicht besser, denn der Schaden ist bereits erfolgt: Einmal im persönlichen Bereich, da bekanntlich von jedem Anwurf etwas übrig bleibt, zum anderen bezüglich des Amtes, denn dieses verträgt weder Vorwürfe der Moralisten noch  Rechtfertigungen des Amtsträgers, zumal ja mittlerweile auch schon die generelle Frage nach der Existenzberechtigung dieses Amtes gestellt wird.
Wenig gedeihlich ist da auch letztlich die Summe all dieser - sagen wir mal – „angedeuteten Unkorrektheiten“ und die Vorgabe einer besonderen Verantwortung, die der heute Betroffene als damaliger Ministerpräsident bei anderen Bundespräsidenten einforderte.


Das Problem ist damit zugespitzt auf eben die Frage, ob an den Träger einer solch herausragenden Position nicht auch besondere moralische Ansprüche zu stellen seien.
Wenn man diese Frage eindeutig mit ja beantwortet, dann schließen sich weitere Gedanken an.
Gilt das dann nicht auch für alle Amtsträger? Inwieweit kann man zwischen Amt und Amtsträger unterscheiden? Gelten alle „Verfehlungen“ der Vergangenheit oder nur die in der Amtszeit begangenen? Muss nicht umgekehrt jeder Amtsträger während seiner Amtszeit für unangreifbar (sakrosankt)  erklärt werden? Klagen wir nicht deutsch-typisch auf zu hohem Niveau? Wer kontrolliert die Presse oder darf im Namen der Pressefreiheit eine beliebige Meinungsfokussierung einzelner Redakteuren entstehen? Ist der mediale Wunsch nach jungen und gut vermarktbaren Politikern nicht eine Fehlentwicklung, da erst in einer späteren Lebensphase altruistische Verhaltensweisen eher zu erwarten sind?
Herr Wulff ist vermutlich nur die Spitze eines Eisberges, insofern kann man ihm fast schon wieder dankbar sein.


Bleibt der Vertrauensverlust: Und der gilt für die gesamte politische Klasse.

Hubertus Wilczek