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23.05.2018

. / Aktuelles / Das Drama in München
Stand: 15.07.2012

Das Drama in München

Eigentlich bin ich kein Fußballfan; eigentlich beginnt mein Interesse am Fußball alle vier Jahre mit den Weltmeisterschaften und endet auch damit, und eigentlich bin ich über das Geschehen in der Bundesliga eher beiläufig informiert. Schon gar nicht bin ich ein Fan von Bayern München, da dieser Verein in meinen Augen bislang nur ein gut funktionierendes Industrieunternehmen war, welches sich erlauben konnte, eine komplette zweite Mannschaft auf der Ersatzbank sitzen zu haben, die nur sicherstellen sollte, dass diese Spieler nicht beim Gegner aufliefen.
Seit kurzem war mir der Verein etwas sympathischer geworden, da ich bei einer Wette immerhin 50 € gewonnen hatte, weil ich nach Lage der Dinge dreisterweise auf Sieg im Spiel gegen Real Madrid gesetzt hatte. Seit gestern Abend ist mir diese Mannschaft aber fast ans Herz gewachsen.


Der gestrige Fußballabend war ein Drama besonderer Art: Es hatte eine unheimliche Fülle retardierender Momente, um dann doch noch in der Katastrophe zu münden.
Da rennt eine Mannschaft unermüdlich gegen das gegnerische Tor, unverzagt und mit nicht enden wollendem Siegeswillen angefüllt, immer und immer wieder. Nicht allein das Eckenverhältnis dokumentiert dies, auch die Betrachtung der Tatsache, wo sich 21 Spieler mehrheitlich aufhielten: nämlich in der Spielhälfte des britischen Betonblocks.
Und eben diese vermeintliche Feldüberlegenheit enthielt gleichsam den Kern der letztlichen Niederlage. Es war wie ein vergifteter Bauer im Schachspiel: man räumt ihn weg und wähnt sich im entscheidenden Vorteil, auch jede Wahrscheinlichkeit spricht für einen Sieg: bei so vielen Torschüssen, müsste auch irgendeiner eben dort landen. Scheinbar geht diese Rechnung auf, denn Müllers Kopfballtor war gegen Ende mehr als verdient, und das Spiel schien entschieden zu sein.
Aber bereits das nicht gegebene Abseitstor – durchaus völlig korrekt – deutete darauf hin, dass Fortuna sich für die Bayern an diesem Abend etwas Besonderes ausgedacht hatte.
Nicolo Machiavelli schreibt, dass Fortuna eine Frau sei und sie ihre Gunst nur den Jünglingen schenkte, die sie schlecht behandeln.
Das Mühen und Strampeln der bayerischen Mannschaft hat sie offenbar überhaupt nicht gerührt:
im Gegenteil: Der einzige Eckstoß der Briten führt zum Ausgleich in der 88. Spiel - Minute; für sich genommen ein brillantes Kopfballtor, eine einsame Einzelaktionen, eben gegen jede Wahrscheinlichkeit und damit eine Laune des Glücks.
Schlimmer: Es wirkt wie eine zynische Regie Fortunas. Wieder erhitzt sie den nie enden wollenden Siegeswillen der Bayern, indem sie ihnen einen Elfmeter schenkt (bei den häufigen Aktionen im Neun-Meter-Raum hätten es von der Wahrscheinlichkeit her sehr viel mehr sein müssen).
Nun kommt die tragische Gestalt Robben: seine zahllosen Eckstöße (gefühlt ein gutes Dutzend) ließen an Harmlosigkeit nichts zu wünschen übrig. Eckstoß: Robben schießt: der Ball fliegt zielgenau auf den Kopf eines Verteidigers. Hier hätte man sich als Zuschauer irgendwann jemanden gewünscht, der anstatt seiner den Eckstoß vollführte – vielleicht dann auf Robbens Kopf.
Auch seine sonstigen Aktionen endeten stereotyp in der gleichen ausweglosen Situation: Die zwei langen Mann-Verteidiger warteten schon auf ihn in ihrer Hälfte, um ihn weder rechts zum Flanken vorbei zu lassen noch durch die Mitte zum Torschuss kommen zu lassen.
Es war nicht Robbens Tag: Er wirkte auch nicht untrainiert oder müde, sondern eher übermotiviert, fast schon stets sich selbst überschätzend.
Jedenfalls glücklos, jedenfalls jemand, den man nicht den entscheidenden Elfmeter schießen lässt.
Schade, dass niemand erkannt hatte, dass der gegnerische Torwart den immer gleichen Trick anwandte: Er stand nicht genau in der Mitte, sondern aus seiner Sicht etwas mehr rechts, um dann rechts antäuschend stets in die linke Ecke zu fliegen. Zu viele bayerische Schützen haben dann auch beim Elfmeterschießen die angebotene längere Seite versucht.
Und eben auch der letzte, Schweinsteiger, wobei der Schuss für sich genommen sehr gut war, aber eben in der vorbereiteten Ecke.
Aus und vorbei: Ähnlich müssen sich die Spieler bei Real Madrid gefühlt haben, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Jenes Spiel war insgesamt ausgeglichen und ein kleines Quäntchen Glück entschied. Hier hingegen wirkte es eher wie eine bösartige Laune der Glücksgöttin.
Eine hoch motivierte modernen Angriffsfußball spielende Bayernmannschaft scheitert am Glück und gegen jede Wahrscheinlichkeit. Ihr Kampfeswille, ihr spielerisches Können und ihre unermüdliche Einsatzbereitschaft haben gleichsam Sportgeschichte geschrieben.
Sie haben offenbar nicht den Pokal gewonnen, sie konnten sich am Abend nicht als Sieger fühlen und sie haben nicht die vollständige Anzahl an Euro-Millionen gewonnen, aber:
Sie haben die Herzen der Zuschauer gewonnen, sie waren auch für Nicht-Fußballfans erkennbar die besseren Spieler, sie hatten und haben die Sympathien auf ihrer Seite.
Nun kennt die halbe Welt Bayern München!
Wer ist Chelsea?
Ein besseres Image konnten die Bayern gar nicht hinzugewinnen.

Hubertus Wilczek.