Start  
  .Deutsch  
  .Geschichte  
  .Informatik  
  .Politik  
  Aktuelles  
  Kuriositäten  
  Sonstiges  
  Gästebuch  


211,768 Besucher
seit April '07

letztes Update:
23.05.2018

. / .Politik / Interessante Artikel / Selbst Würstchenbuden und Ich-AGs müssen genauer Buch führen als der Staat
Stand: 16.05.2007

© DIE ZEIT 13.05.2004 Nr.21

Schlichter geht’s nicht

Selbst Würstchenbuden und Ich-AGs müssen genauer Buch führen als der Staat
Von Wilfried Herz

Wenn der Finanzminister Telekom- oder Postaktien verkauft, weil er in Geldnöten steckt, kann er die milliardenschweren Einnahmen im Budget verbuchen. Dass aber gleichzeitig das Vermögen des Staates in gleichem Umfang schwindet, wird an keiner Stelle des Etats berücksichtigt.
Das ist nur eine von zahllosen Merkwürdigkeiten des Haushaltsrechtes. Skurril allein ist schon das Grundprinzip aller staatlichen Budgetpläne: Erfasst werden nur die reinen Einnahmen und Ausgaben. Damit leistet sich der Staat eine Buchführung in einer Schlichtheit, die er nicht einmal Zeitungskiosken, Würstchenbuden oder Ich - AGs erlaubt. Es fehlen nicht nur Wertverluste oder Vermögensveräußerungen. Auch eine Risikovorsorge durch Rücklagen und Rückstellungen – für jedes Unternehmen eine Selbstverständlichkeit – ist im Rechnungswesen des Staates unbekannt.
Dabei geht es nicht um buchhalterische Spitzfindigkeiten, sondern um entscheidende Grundlagen für das Haushaltsgebaren des Staates, der immerhin fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts beansprucht. Weil wichtige Daten keine Berücksichtigung finden, bleibt der Grundsatz von Wahrheit und Klarheit auf der Strecke. Das tatsächliche Bild der Staatsfinanzen wird geschönt, Politiker werden zu gravierenden Fehlurteilen verleitet.
Allein schon die Definition von Investitionen ist von weit reichender Bedeutung. Denn Bund und Länder dürfen laut Verfassungen nur so viel an Krediten aufnehmen, wie sie selbst investieren. Einzige Ausnahme: Eine höhere Neuverschuldung ist, so heißt es beispielsweise in Artikel 115 des Grundgesetzes, „nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“.
Zu den investiven Ausgaben gehören selbstverständlich alle Etatposten für den Neubau von Straßen, Gebäuden oder Kanalisation, aber auch die Anschaffung von Dienstwagen für Minister und Bürgermeister. Nur beim Militär ist es anders: Die Beschaffung von Rüstungsgütern wie Flugzeugen, Panzern oder Kriegsschiffen gilt aus Haushaltssicht als Konsum und nicht als Investition. Und seien diese noch so kostspielig.
Sonderbar auch die Abgrenzung bei der Ausbildungsförderung: Hilft der Staat Schülern oder Studenten mit einem nicht rückzahlbaren Zuschuss, dann ist das nach der juristischen Definition eine konsumtive Ausgabe. Soweit der Bund den jungen Menschen die Ausbildungsförderung dagegen als Kredit auszahlt, zählt das als Investition.
Zudem führt die Einteilung in „gute“ investive und „schlechte“ konsumtive Ausgaben leicht in die Irre. Wenn der Staat Universitäten baut, sind das eindeutig Investitionen. Aber was nützen noch so gut ausgestattete Institute, wenn keine zusätzlichen Professoren für Lehre und Forschung eingestellt werden? Professorengehälter sind allerdings konsumtive Ausgaben, wie alle übrigen Personalkosten.
Ein besonderes Manko ist die mangelnde Vorsorge für die Zukunft. Der Staat türmt zwar gewaltige Pensionsverpflichtungen auf. In den Budgets tauchen die Beamtenpensionen aber erst auf, wenn sie Jahre oder Jahrzehnte später tatsächlich gezahlt werden. Anders sieht das bei den Arbeitern und Angestellten im öffentlichen Dienst aus. Für die muss der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge immer sofort abführen. Der Unterschied führt zu einem verhängnisvollen Irrtum: Der Staat beschäftigt deshalb unverhältnismäßig viele Beamte, weil sie im Vergleich zu ihren angestellten Kollegen als billigere Arbeitskräfte gelten.
Auch die Tatsache, dass Vermögensverkäufe sich ausschließlich als Einnahmen in den öffentlichen Budgets niederschlagen, verführt manchen Politiker zu abenteuerlicher Finanzakrobatik. So ist es etwa in den Kommunen Mode geworden, Rathäuser oder auch Kläranlagen an private Investoren zu verkaufen und dann direkt wieder zu mieten. Der Gemeindekämmerer freut sich dann zwar über einen Batzen Geld in seiner Kasse. Dass er aber gleichzeitig der Kommune auf Jahrzehnte Mietzahlungen aufbürdet, bleibt in der Haushaltsrechnung unerwähnt. Dort steht nur Jahr für Jahr die Miete.
Eine Institution lässt sich indes nicht durch Privatisierungserlöse täuschen: die Europäische Kommission als Wächterin des Stabilitätspakts. Bei der Berechnung, ob ein Staat bei der Neuverschuldung die Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreitet, bleiben solche Einmal-Einnahmen unberücksichtigt.

© DIE ZEIT 13.05.2004 Nr.21